Am 14. März stellte die Polizei Essen ihren Jahresbericht 2021 über die Entwicklung der Verkehrsunfälle in Essen und Mülheim vor. Grundsätzlich nahm die Zahl der Verkehrsunfälle in Essen um rund 5 Prozent zu, auf insgesamt 24.671. Die Zahl der Verunglückten sank um rund 2,3 Prozent auf 1.808. Die Zahl der verunglückten Kinder sank ebenfalls um rund 12,7 Prozent auf 145.

Nach der hohen Zahl der verunglückten Radfahrer*innen im Jahr 2020 sank diese Zahl 2021 um rund 4,4 Prozent auf 412 – darunter fällt auch der Unfall auf der Hans-Böckler-Straße, bei dem ein Radfahrer getötet wurde. Insgesamt starben im Jahr 2021 in Essen 5 Menschen im Straßenverkehr.

Den vielen Zahlen fehlt ein verkehrspolitischer Kontext

Die vielen Zahlen klingen, gerade mit Blick auf die Zahl der verunglückten Menschen, erst einmal positiv. In der Betrachtung eines längeren Zeitraums könnte man denken, die Entwicklung sei der Pandemie geschuldet. So lag in den vergangen Jahren die Zahl der Verunglückten in Essen immer über 2.000; in der Spitze bei 2.205 im Jahr 2019. In den beiden ersten Jahren der Pandemie fiel dieser Wert auf 1.852 bzw. auf 1.808.

Nimmt man allerdings die Ergebnisse für Mülheim hinzu, relativiert sich der Eindruck. In Mülheim stieg im Jahr 2021 nicht nur die Zahl der Verkehrsunfälle noch deutlicher als in Essen. In der Nachbarstadt nahm auch die Zahl der insgesamt Verunglückten, der verunglückten Kinder und der verunglückten Fußgänger*innen zu. Warum? Die Zahlen geben nicht auf alle Fragen eine Antwort.

Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung berichtet, dass auch die Polizei für die Veränderungen keine abschließende Erklärung hat. Zumindest schreibt sie die Verbesserungen teilweise ihrem Kommissariat zur Verkehrsunfallprävention zu.

Was der Bericht der Polizei leider nur andeutet, aber nicht analysiert, ist die kontinuierlich gestiegene Zahl der Kraftfahrzeuge auf den Essener Straßen. Gab es in Essen Anfang der 1990er Jahre gerade mal rund 300.000 Kraftfahrzeuge, fahren bzw. stehen heute über 360.000 Kfz auf den Essener Straßen.

Vor lauter Statistiken verlieren wir das Wesentliche aus dem Blick

Ja, über Jahrzehnte gesehen, sinkt in Deutschland wie in Essen insbesondere die Zahl der Verunglückten. Mit der Geschwindigkeit können wir aber keinesfalls zufrieden sein. Wir haben uns allzu sehr daran gewöhnt, Verletzte und Tote im Straßenverkehr für selbstverständlich zu nehmen. Die Politik, die Verwaltung und die Presse feiern jedes Jahr aufs neue eine Entwicklung, die – menschliche Maßstäbe angelegt – kaum eine echte Verbesserung darstellt.

Entscheidende Schritte für mehr Verkehrssicherheit kommen entweder gar nicht voran, wie zum Beispiel eine Reduzierung der Regelgeschwindigkeiten, oder nur schleppend, wie die Einführung von Abbiege-Assistenten für Lastkraftwagen.

So ist nicht nur Deutschland, sondern auch Essen weit entfernt von dem Ziel Vision Zero, das null Tote und null Schwerverletzte im Straßenverkehr als zentrales Leitmotiv der Verkehrspolitik fordert.

Die Stadt steht beim Thema Verkehrssicherheit auf der Bremse

Die Stadt reagiert genauso träge wie der Bund. So nennt die Polizei in ihrem Jahresbericht für Essen wieder über 40 Unfallhäufungsstellen und stellt exemplarisch 3 davon vor. Die Kreuzung Weidkamp/Am Ellenbogen/Hülsmannstraße ist schon zum dritten Mal ein Thema. Die Kreuzung Henglerstraße/Grendtor/Kurt-Schumacher-Straße zum zweiten Mal. An beiden Punkten verunglückten in den vergangen Jahren zahlreiche Radfahrer*innen.

Die Stadt bewegt sich nicht, obwohl sie es besser weiß. Das Amt für Straßen und Verkehr plant und baut weiterhin sogenannte freie Rechtsabbieger: Fahrstreifen, die es dem motorisierten Verkehr erlauben, an größeren Kreuzungen ohne ein eigenes Ampelsignal nach rechts abzubiegen. Die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte lehnt diese Bauform als äußerst gefährlich ab. Zwar ist Essen Mitglied der Arbeitsgemeinschaft, ignoriert aber deren Forderung nach mehr Sicherheit im Straßenverkehr zugunsten des motorisierten Verkehrs.

Die gleiche Priorisierung sehen wir beim Thema Radinfrastruktur. Die Mehrheit der Menschen lehnt Radfahrstreifen in Mittellage ab. Sie fühlen sich auf einem Radfahrstreifen, der zwischen zwei Fahrstreifen für den motorisierten Verkehrs verläuft, schlicht nicht sicher. Die Verwaltung in Essen hält dennoch an dieser Führungsform fest, denn sie ermöglicht eben mehrere Fahrstreifen für das Auto.

Essen tut sich mehr als schwer, das Thema Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer*innen stärker zu gewichten als die flüssige Fahrt für den motorisierten Verkehr. Traurigerweise wird der Jahresbericht 2022 über die Entwicklung der Verkehrsunfälle in unserer Stadt vermutlich kaum besser ausfallen als der jetzige.

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