Die Stellungnahme des RadEntscheids Essen als Update zu der letzen aus Dezember 2022.

Am 21. März 2023 veranstaltet die Stadt Essen die jährliche Dialogveranstaltung zum RadEntscheid. In diesem Rahmen stellt sie ihren Sachstandsbericht zur Umsetzung der vom Stadtrat beschlossenen Ziele vor. Sie berichtet über die bereits realisierten Maßnahmen und gibt einen Ausblick auf die Pläne für die weitere Umsetzung im Jahr 2023. 

  • Die im Bericht dokumentierten Maßnahmen und Pläne genügen qualitativ nicht den mit dem RadEntscheid im Jahr 2020 definierten Zielen hinsichtlich der Breite von Radfahrstreifen, ihrer baulichen Trennung, der Markierung von Dooring-Zonen und der Reduzierung des Kraftfahrzeugverkehrs in Fahrradstraßen.
  • Der Bericht zeigt, dass die Verwaltung bereits zwei Jahre nach dem Start ihrer Umsetzungsstrategie aus dem Jahr 2021 die quantitativen Ziele für das Jahre 2022 weitgehend verfehlt hat und auch für 2023 verfehlen wird. Sie verzichtet auf eine notwendige Justierung, so dass die Umsetzung des RadEntscheids absehbar um Jahre zurückfällt.
  • Die Berichterstattung ist insbesondere hinsichtlich der Auswahl, der Priorisierung und der Finanzierung von Maßnahmen intransparent. Die Verwaltung folgt weitgehend ihren regulären Sanierungsplänen für den Kraftfahrtzeugverkehr. Die Maßnahmen sind völlig ungeeignet, das eigene Modalsplit-Ziel von 25 Prozent für den Radverkehr zu erreichen.
  • Die Verwaltung stellt sich nicht der veränderten Ist-Situation, die durch folgende Einzelaspekte definiert ist: die bisherige ungenügende Umsetzung des RadEntscheids, die weiterhin nicht besetzten Personalstellen, den neu veröffentlichten Bericht zum mangelhaften Zustand und Sicherheitsmängeln des bestehenden Radwegenetzes, den jüngsten Empfehlungen der Forschungsgesellschaft für Verkehrswesen zum Radverkehr, den Zahlen zur Verkehrsunfallentwicklung der Polizei Essen und einer jährlich drängender werdenden Mobilitätswende (siehe der gestrige Bericht des IPCC).

Mit Blick auf die eigene Personalsituation hat das Amt für Straßen und Verkehr im Jahr 2021 eine Umsetzungsstrategie formuliert, die ausdrücklich eine Hochlaufphase beinhaltet. In dieser Phase setzte sich die Verwaltung bewusst äußerst bescheidene Ziele. Diese Entscheidung hat der RadEntscheid vor dem Hintergrund der notwendigen Personalakquise toleriert. Mit der jetzt vorliegenden Berichterstattung für das Jahr 2022 wird deutlich, dass die Verwaltung aber selbst dieses Minimum an selbstgesteckten Zielen deutlich verfehlt hat. In nur 2 von 11 Handlungsfeldern erreicht sie ihre Ziele: Sie hat 4 von 4 veranschlagten Einbahnstraßen für den Radverkehr geöffnet und wie geplant 1 Kreuzung umgebaut. In den übrigen neun Handlungsfeldern erreicht das Amt für Straßen und Verkehr lediglich Erfüllungsgrade zwischen 8 und maximal 69 Prozent.

Der Verwaltung gelingt es nicht, selbst planerisch und baulich unaufwändige Ziele, wie die Schaffung von 12 Abstellanlagen für Lastenräder, innerhalb eines Jahres umzusetzen. Sie hat im Jahr 2022 gerade 1 Abstellanlage realisiert. Noch frustrierender fällt das Fazit des RadEntscheids bei entscheidenden Punkten aus, die darauf zielen, neue Radwege, Radfahrstreifen und Fahrradstraßen zu schaffen. Auch hier verfehlt die Verwaltung teils gravierend ihre Zielvorgaben. Vor allem aber entsprechen die von ihr umgesetzten Maßnahmen weiterhin nicht den vom Stadtrat beschlossenen Ausführungsstandards.

Zum Beispiel gibt das Amt für Straßen und Verkehr für das Ziel Nr. 4 (Sichere Radwege an Hauptstraßen anlegen) an, dass von beabsichtigten 1.000 m nur 290 m realisiert wurden, und knüpft die Zahl an die Baumaßnahme an der Wickenburgstraße. Die Ausgestaltung sieht hier an Hauptverkehrsstraßen im Radhauptroutennetz eine Breite von 2,50 m Radwegen oder Radfahrstreifen vor. Sie müssen vor Befahren, Halten und Parken durch Kfz geschützt werden, z. B. durch Borde oder Markierungsnägel, und sind vom Fußverkehr getrennt zu führen. Diese vom Stadtrat beschlossenen technischen Umsetzungsstandards hat die Verwaltung hier aber nicht realisiert und rechnet die Maßnahme dennoch der Zielerfüllung des RadEntscheids zu.

Die konkrete Baumaßnahme an der Wickenburgstraße erfüllt nicht die Vorgaben der Verwaltungsvorschriften zur StVO („Befindet sich rechts von dem Radfahrstreifen ein Parkstreifen, kommt ein Radfahrstreifen in der Regel nicht in Betracht, es sei denn, es wird ein zusätzlicher Sicherheitsraum zum ruhenden Verkehr geschaffen.“).
Im Richtlinienwerk Empfehlungen für Radverkehrsanlagen 2010 werden 50 cm Sicherheitstrennstreifen gefordert. Seit den Anpassungen durch die E Klima 2022 sind Sicherheitstrennstreifen zu parkenden Fahrzeugen von mindestens 0,75 m bei allen Formen von Radverkehrsanlagen Pflicht. Die Verwaltung hat auf Trennstreifen generell verzichtet und gefährdet hiermit bewusst die Radfahrenden, die dort unterwegs sind.

Die Baumaßnahme an der Wickenburgstraße reiht sich ein in die übrigen Planmaßnahmen 2022, denen wir im Rahmen der Beteiligung der Verbände vehement widersprochen haben. Dazu zählen unter anderem weitere Projekte wie das auf der Heiligenhauser Straße/Ringstraße vom Ruhrtalradweg bis zum Panoramaradweg und auf der Kupferdreher Straße. Dort will das Amt für Straßen und Verkehr lediglich Schutzstreifen anlegen. Schutzstreifen entsprechen in keiner Weise den Zielen des RadEntscheids.

Beide beispielhaft genannten Baumaßnahmen machen deutlich, dass die zuletzt geschaffenen Radverkehrsanlagen bei objektiver Betrachtung der Kriterien keinesfalls der Umsetzung des RadEntscheids zugerechnet werden dürfen. Die fehlende Berücksichtigung der Absicht und der Standards des RadEntscheids lässt sich an einem weiteren Projekt nachvollziehen: Der Umwidmung des Stauseebogens zur Fahrradstraße.

Die Stadt weist der Straße eine große Bedeutung für den Radverkehr zu, sowohl für den Alltagsradverkehr als auch für den Freizeitradverkehr. Die Strecke über den zu sanierenden Teil des Stauseebogens und die Kampmannbrücke hat aufgrund des Umwegs von mehreren Hundert Metern und der fehlenden Infrastruktur für Radfahrende allerdings kaum eine praktische Bedeutung für den Alltagsradverkehr in Richtung Kupferdreh. Aus diesem Grund hat der RadEntscheid eine alternative Führung vorgeschlagen, die keine Berücksichtigung fand.

Die Baumaßnahme am Stauseebogen zeigt darüber hinaus eine weitere Besonderheit auf, die bei der Umsetzung des RadEntscheids äußerst fragwürdig erscheint. Anhand der Projekte des Amtes für Straßen und Verkehr lässt sich nicht erkennen, dass die Verwaltung gezielt und aktiv wichtige Lücken in den Radwegenetzen schließt oder bei der Planung von Maßnahmen Schlüsselstrecken für den Radverkehr priorisiert. Im Gegenteil arbeitet sie ein übergeordnetes Sanierungsprogramm ab und ergänzt es, dort wo das Radwegenetz verläuft, um Maßnahmen, die dem Radverkehr dienen sollen.

So kalkuliert die Verwaltung für die Fahrradstraße Stauseebogen Mittel in Höhe von rund 1,8 Mio. Euro. Sie werden im Rahmen der zu fertigenden Baubeschlussvorlage in 2023 und 2024 außerplanmäßig mit Deckung aus den für die Umsetzung des RadEntscheids zur Verfügung stehenden Ansätzen (PSP-Elemente 5.660701.500 – 5.660705.500) bereitgestellt. Die Verwaltung finanziert hier eine Sanierung, die ganz überwiegend dem Kraftfahrzeugverkehr zu Gute kommt, aus dem Budget des RadEntscheids. Die intransparente Darstellung der Mittelverwendung verschleiert, welchen Betrag die eigentlichen Fahrradstraßen-Elemente wie Schilder und Fahrbahn-Piktogramme verlangen.

Ein kurzer Vergleich von Ausgaben pro Meter illustriert aber das krasse Missverhältnis bei der Kostenplanung: Für die geplante Neugestaltung der Radfahrstreifen auf der Huyssenallee ergeben sich Kosten von etwa 85 Euro pro Meter, für den Stauseebogen liegen sie dagegen bei 3.200 Euro.

Der RadEntscheid befürchtet eine ähnliche Handhabung bei weiteren angekündigten Maßnahmen. So beabsichtigt das Amt für Straßen und Verkehr eine aufwändige Sanierung der Fahrbahn, der Gehwege und der Parkstände in der Wittekindstraße. Auch hier werden im Zuge der Sanierung Radverkehrsanlagen entstehen. Die Kosten für mögliche Radverkehrsanlagen darf die Verwaltung aus dem entsprechenden RadEntscheid-Budget finanzieren, wenn die Anlagen den definierten Standards entsprechen. Die übrigen Kosten müssen aber anderen Budgets zugeordnet werden. Die Politik und die Öffentlichkeit sollten hier eine ausführliche und transparente Mittelverwendung und Kostendarstellung verlangen, damit auch erkennbar bleibt, dass eine gute Infrastruktur für den Radverkehr deutlich günstiger als für den motorisierten Verkehr ist.

Die Liste der unzureichenden Maßnahmen und Pläne lässt sich beliebig fortsetzen. Für die bereits angesprochene Wittekindstraße rechnet die Verwaltung z. B. mit einem hohen Aufkommen an Kraftfahrzeugverkehr mit bis zu 8000 Fahrzeugen pro Tag. Diese Zahl ist doppelt so hoch wie die Zahl, die in Richtlinien als radverkehrsverträglich genannt wird. Und auch hier ignoriert das Amt für Straßen und Verkehr den RadEntscheid-Beschluss, der ausdrücklich eine Reduzierung von Durchgangsverkehren bei unverträglichen Verkehrsmengen vorschreibt.

Ein Beispiel für die fehlende Priorisierung von Maßnahmen und die andauernde Bevorzugung des Kraftfahrzeugverkehrs stellt die Durchstreckung der Kreisstraße 12 dar. Die neu gestaltete Kreuzung Bochumer Landstraße / Rodenseelstraße / Sachsenring zielt mit fünf Fahrstreifen je Fahrtrichtung ausschließlich auf den Kraftfahrzeugverkehr. Weil die Verwaltung im Zuge des Neubaus auch Radwege anlegt, wertet sie die Maßnahme als RadEntscheid-Projekt und vernachlässigt den Umbau wesentlich wichtigerer und viel befahrener Kreuzungen wie zum Beispiel am Europaplatz.

Sowohl die Maßnahme Hatzper Bogen als auch die Nebenstrecke der Rheinischen Bahn zum Bahnhof Borbeck sind gemeinsam zu nutzende Rad- und Gehwege und entsprechen nicht den Beschlüssen zum RadEntscheid. Der Krügerpfad ist ein Waldweg ohne sinnvolle Fortführung, die Preutenborbeckstraße ist ein ausgebesserter Waldweg ohne anschließende Radinfrastruktur. An der Zornigen Ameise erneuerte die Verwaltung lediglich die Fahrbahndecke.

Der vorliegende Sachstandsbericht und der Ausblick auf die weitere Umsetzung zeigt, dass die Verwaltung bislang bei der Umsetzung des RadEntscheids versagt hat: Weder hat sie ihre bescheidenen selbstgesteckten Ziele erreicht noch hat sie Radverkehrsanlagen realisiert, die dem geforderten Niveau entsprechen. Es erscheint daher absurd, dass die Verwaltung die Fehlstände schlicht ins Jahr 2023 überträgt, so dass sich hier zusammen mit den regulären Zielvorgaben Planzahlen ergeben, die utopisch und unprofessionell anmuten mit Blick auf das bisherige Arbeitstempo und die weiterhin nicht besetzten Personalstellen.

Hinzu kommt, dass der Verwaltung seit dem Jahr 2022 ein Bericht über den mangelhaften Zustand der Hauptrouten des Essener Radwegenetzes vorliegt. Die Analyse stellt gravierende Sicherheitsmängel auf einem Fünftel der Netzkilometer fest, woraus ein zusätzlicher Handlungsbedarf für die Verwaltung entsteht.

Was jetzt geschehen muss

Aus Sicht des RadEntscheids ergeben sich hier daher klare Forderungen, dass die Verwaltung ihre bisherige zögerliche Haltung bei der Umsetzung des RadEntscheids ablegen muss und eine korrigierte Umsetzungsstrategie braucht.

Zunächst sollte die Verwaltung sich den einfach zu realisierenden Zielen widmen, die keinen allzu großen Planungs- und Umsetzungsaufwand verlangen.

Sie muss eine echte Priorisierung von Maßnahmen und Bauprojekten erarbeiten, die am Bedarf des Radverkehrs ausgerichtet sind.

Weiterhin muss die Verwaltung endlich die vom Essener Stadtrat beschlossenen Standards bei ihren RadEntscheid-Projekten umsetzen.

Der bestehende Sachstandsbericht ist dahingehend zu korrigieren, nur Maßnahmen in die Zielerreichung einzurechnen, die objektiv den Zielen entsprechen.

Die Dokumentation, insbesondere der Finanzierung, muss nachträglich wie zukünftig transparent erfolgen.

Schließlich sollte die Verwaltung, um den gravierenden Rückstand bei der Umsetzung des RadEntscheids aufzuholen, intensiv von vorläufigen und improvisierten Radverkehrsanlagen wie den sehr erfolgreichen Pop-Up-Radwegen Gebrauch machen, die sie anschließend sukzessive verstetigen und professionalisieren kann. Die Verwaltung sollte die neue Popularität des Radfahrens jetzt schnell und im großen Stil mit solchen Maßnahmen fördern und ein klares Zeichen für die Weiterentwicklung des Radverkehrs wie für das ehrgeizige Modalsplit-Ziel setzen. Das ist im Übrigen eine Forderung, die mittlerweile selbst von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) so formuliert wird: „Grundsätzlich sind Maßnahmen anzustreben, die eine schnelle Umsetzung ermöglichen. Ummarkierungen von Fahrstreifen zu Radfahrstreifen können dabei schnell umsetzbare und sichere Lösungen darstellen.”

Essen, 21. März 2023


1 Kommentar

Ingo · 25.03.2023 um 10:57

Neben seinem Gehalt als Oberbürgermeister erzielt Thomas Kufen 180.000 Euro an Nebeneinkünften aus Gremien.

Wer bezieht von uns 180000 Euro im Jahr Zitat „Nebeneinkünfte“?
Sein Normales Gehalt Beträgt 170000 Euro, also in Summe 350000 pro Jahr!!!

Herr Kufen ist Besitzer eines Autohauses (nicht eines Fahrradgeschäfts).
daher wird sich in den nächsten Jahren hier bzgl. Rad Politik nichts ändern!

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